Visionäres Multitalent – Ein Interview mit der Autorin und Video Künstlerin Edie Calie

Edie, du bist Autorin und Videokünstlerin. Das geschriebene Wort und das Visuelle – wo kommt deiner Meinung nach die Kunst/Kreativität stärker zum Ausdruck?
Edie Calie: Schreiben und Videos drehen sind für mich zwar zwei unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten, die aber sehr gut zusammenpassen. Beides beginnt mit visuellen Vorstellungen in meinem Kopf, die ich dann entweder zu Papier bringe oder nachstelle. Bei beiden geht es mir darum, Stimmungen zu erzeugen und Geschichten zu erzählen. Insofern kann ich gar nicht sagen wo die Kunst/ Kreativität stärker zum Ausdruck kommt. Schreiben hat den Vorteil, dass ich dafür keine anderen Menschen brauche und es keine Limitierungen gibt. Musikvideos haben den Vorteil, dass ich sie in enger Zusammenarbeit mit der jeweiligen Band mache und wenn zwei kreative Menschen sich Ideen hin- und herwerfen, kollidieren die manchmal und es entstehen wunderbare Ideenmonster, die man allein nie erschaffen hätte.

Wie kam es dazu, dass du dich neben dem Autorinnendasein auch zur Videokünstlerin entwickelt hast?
Lustigerweise war es bei mir genau andersherum. Ich habe immer schon gerne geschrieben, habe das Schreiben aber nie ernst genommen und für ein paar Jahre regelrecht vergessen. Neben dem Studium (Kommunikationswissenschaften und Digitale Kunst) habe ich damals bei einem Fernsehsender gearbeitet, Filmen und Schneiden gelernt und eigene Beiträge produziert. Von dem ausgehend kam ich dann zu Musikvideos, die mir mehr Freiheiten boten als Fernsehbeiträge. Zur Autorin wurde ich erst 2012, als ich „versehentlich“ mein erstes Buch „3 a.m.“ geschrieben habe. Ich habe einfach angefangen zu schreiben und monatelang nicht aufgehört. Interessanterweise hat das mein näheres Umfeld weniger überrascht als mich selbst.

Du hast in den vergangenen Jahren äußerst produktiv für The Devil & The Universe als auch für Whispers in the Shadow Videos gedreht und geschnitten. Sehr verschiedene Musikstile und komplett verschiedene Botschaften der jeweiligen Musiker. Was ist für dich als Erstes ausschlaggebend für Ideen, wenn ein Videodreh ansteht: der jeweilige Song (musikalisch) oder die Botschaft, die visuell vermittelt werden soll?
Für mich steht der Song im Mittelpunkt, den ich mir immer und immer wieder anhöre. Währenddessen beobachte ich die Bilder, die sich zu dem Sound in meinem Kopf formen. Die sortiere ich dann so lange aus, bis brauchbare Bilder entstehen, die ich auch mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln umsetzen kann. Wenn ich zu einem Song sehe, wie die Band durch die Wüste läuft, ist das zwar in meiner Vorstellung unterhaltsam, aber ich glaube kaum, dass ich die fünf Männer von Whispers in the Shadow einpacken und in die Sahara fliegen kann. Wobei ich sie das ehrlich gesagt noch nicht gefragt habe. Die Botschaft, die die Band vermitteln will, ist da meistens schon irgendwie mit drin, weil ich schon beim Auswählen des Songs mit ihnen darüber rede, wovon der Song und das jeweilige Album handeln und mir das als Inspiration dient.

Spielt dein persönlicher Musikgeschmack für den Videodreh eine bedeutende Rolle? Immerhin musst du dir beim Videoschnitt das Ganze unzählige Male anhören!
Ja, definitiv. Ich drehe kein Video zu einem Song, den ich nicht mag oder der mir auf die Nerven geht. Da achte ich schon auf meine psychische Gesundheit. Außerdem würden mir wahrscheinlich nur veraschende, ironische Ideen zu solchen Songs kommen und das ist ja auch nicht Sinn und Zweck der Sache.

Gab es mal ein Anfrage für einen Videodreh, den du abgelehnt hast?
Es gab einen Song von The Devil & The Universe, den ich abgelehnt habe. Ich sage nicht welchen, aber er ist auf dem Album „Benedicere“. Ansonsten haben mich schon hin und wieder Bands gefragt, ob ich für sie ein Video mache, aber es scheitert dann in der Regel an den Freiheiten, die ich einfordere, weil das sehr viel Vertrauen voraussetzt.

Was ist wichtiger für einen erfolgreichen Videodreh: Spontanität und Improvisationstalent oder eine strikte Planung und Vorbereitung bis ins kleinste Detail?
Allgemein kann ich die Frage nicht beantworten, ich denke es sind auf beide Arten sehr erfolgreiche und grandiose Videos entstanden. Ich persönlich brauche eine Mischung aus beidem. Es gab für jedes meiner Videos einen groben Plan und eine spezielle Grundidee. Sei es der Schnitt, der Stil oder die Story, die erzählt werden soll. Am Set herrscht dann aber kreatives Improvisationschaos, in dem meistens die besten Szenen entstehen. Da wird der Plan dann schnell mal über den Haufen geworfen, wenn durch die Kameralinse etwas anderes viel besser aussieht als zu Hause auf dem Sofa erdacht. Ich werfe mich da auch gerne körperlich rein, halte mit einer Hand den Scheinwerfer, mit der anderen die Kamera und gib Anweisungen. In so einer Atmosphäre fühle ich mich wesentlich wohler als mit striktem Drehplan. Außerdem bin ich eine große Freundin von Zufällen und Fehlern, auch beim Schnitt. Bei „Kali’s Tongue“ war es ursprünglich zum Beispiel nicht beabsichtigt, dass der Himmel am Ende rot gefärbt ist. Ich habe einen Effekt ausprobiert, der etwas komplett anderes gemacht hat, als ich wollte und plötzlich war der Himmel so genial rot. Über so was freue ich mich immer besonders.

Wünsche-Zeit: keine Budget-, Zeit – oder Ortsgrenzen für einen Videodreh. Welche Settings, Equipments, Wünsche hättest du an dieser Stelle und für welche Art von Musik/Band?
Hach, da beginne ich ja gleich zu träumen. Wenn Geld keine Rolle spielen würde, hätte ich da schon einige Ideen, die große Studios oder Reisen nach Irland, England oder Island beinhalten würden. Was das Equipment betrifft, gibt es natürlich auch noch viel Luft nach oben. Ich arbeite nicht mit High-End-Geräten, wobei mir das auch eine gewisse Freiheit gibt. Ich weiß, was mit meinem Zeug geht und was nicht und was ich kann und was nicht. Dadurch kann ich mich beim Dreh auf andere Sachen als die Technik konzentrieren. Bezüglich Musik/ Band könnte ich mir gut vorstellen mit The Flaming Lips oder The KLF zu arbeiten. Auf jeden Fall eher abgefahrene Bands in deren Schaffen Humor einen ebenso großen Platz einnimmt wie in meinem. Und ich würde gerne mal Live-Schnitt für die Leinwände auf einem großen Festival machen. Vielleicht für Editors oder The Cure?

Viele Videokünstler haben eine „eigene Handschrift“ bei der visuellen Umsetzung. Würdest du für dich sagen, dass sich dies im Laufe der Zeit entwickelt oder ist diese „eigene Handschrift“ von Anfang da?
Ich schätze mal der eigene Stil entwickelt sich mit der Zeit. Natürlich ist es schon cool, wenn man z.B. bei Floria Sigismondi (Anmerk. der Red.: italienisch-kanadische Fotografin und Regisseurin) oder Anton Corbijn gleich erkennt, dass es sich um ihre Arbeiten handelt. Ich persönlich strebe aber nicht nach einem eigenen Stil. Ich finde Stringenz im kreativen Schaffen sogar absolut überbewertet und limitierend. Wer weiß, vielleicht drehe ich mal ein Schlager-Video oder schreibe ein Kochbuch. Ich kann’s mir zwar nicht vorstellen, würde aber nichts ausschließen, nur weil es gegenwärtig nicht in mein Bild von mir selbst passt.

Die Fans von Musikbands sehen in der Regel „nur“ das Endprodukt, sehr selten geben Bands Einblick in die Entstehung des Videos oder bieten gar Outtakes an. Hättest du sofort ein Video von TDATU oder WITS parat, bei denen Outtakes absolut das „Licht der Welt“ erblicken sollten? Oder ist dies für eine Videokünstlerin eher unüblich, wenn zum eigentlichen Video derartiges Material an die Öffentlichkeit kommt?
Beim Dreh konzentriere ich mich nur auf das Video, das entsteht und ein großer Prozentsatz des gedrehten Materials kommt auch ins finale Video. Das Drumherum müsste jemand anderer dokumentieren, wobei ich versuche das Set so klein wie möglich zu halten und nur die Menschen, um mich zu haben, die ich unbedingt für den Dreh brauche. Es gibt aber tatsächlich ein eigenes Mini-DV-Tape mit Making-Of-Material, das jemand 2009 beim Dreh von „Blood, Sweat and Tears“ von Whispers gefilmt hat. Das liegt irgendwo in meinem Archiv. Da meine Kamera aber längst digital ist, kann ich es selbst nicht mal mehr abspielen und ansehen. Ist ganz gut so.

Ich mag alle deine Videos, mein persönlicher Fav ist das Video von THE DEVIL & THE UNIVERSE „Danaus Plexippus“ von 2014. Hier stimmt alles: Umgebung, das Acting der Ziegen, das Haus bietet passende Szenen, die dem Bandimage entsprechen. Ich würde sogar behaupten, dass dieses Video den Stil der Ziegen mitgeprägt hat. Was hältst du von dieser Aussage? Gibt es eine Story zum Videodreh, die erzählt werden sollte?
Ja, das stimmt, das Video war wirklich ein Glücksfall, bei dem alles gepasst hat. Der Dreh selbst war sehr kurz (ich glaube nur vier Stunden) und fast komplett improvisiert. Wir wussten von einem verlassenen Haus, das jemandem gehörte, den Stefan Elsbacher kannte. Erst vor Ort haben wir gesehen, wie cool das Haus ist und dass es dort zwei Teiche, ein Feld mit Strohballen und echte Ziegen gibt. Die Ziegen standen grad eng beim Zaun und ich bin sofort zum Auto zurückgelaufen und hab die Kamera geholt, damit wir die als erstes drehen, bevor sie sich in die hintere Ecke ihres Geheges zurückziehen. Die Grundideen des Videos waren dieser abgehackte Schnitt, bei dem immer eine Ziege hinzukommt, die Story mit dem Schmetterling und dass das „Ping“ auf unterschiedlichen Materialien gezupft wird (deswegen hatten wir Gummibänder, Ukulele und Geige dabei). Der Rest hat sich vor Ort ergeben.
Meine persönlichen Favoriten sind übrigens „Nikopoia“ von The Devil & The Universe und „Ivy“ von der Grazer Band Crush, das ich gemeinsam mit Sängerin Christina Lessiak gemacht habe.

Die beiden neuen Videos „Satanic (don’t) Panic“ und „Kali´s tongue“ von TDATU wurden vor Kurzem veröffentlicht. Großartige Umsetzung der Thematik! In dem von dir verfassten „The Companion Book“ zum neuen Album „Endgame 69“ ist neben einer unterhaltsamen Story aus dem WG-Leben der Ziegen mit dem Einhorn auch die musikalische Stilrichtung von dir beschrieben. „Space disco“ und „Psychedelic Glam“ treffen auf New wave, Synth Pop und Black Metal. In beiden Videos finde ich vor allem psychedelische Handschrift wieder. Panik, Drogen, gesellschaftliche Umbrüche, die Dream Machine. War es schwierig, diese Stimmung visuell umzusetzen?
Nein, eher im Gegenteil. Dadurch, dass es konkrete Themen und mit der ganzen 69-Thematik auch visuelle Anhaltspunkte gab, hatten wir viel mit dem wir arbeiten konnten. Es war klar, dass es optisch psychedelischer werden würde, was ich beim Schnitt umgesetzt habe. Bei „Satanic (don’t) Panic“ durfte ich mich humortechnisch voll ausleben, mit den Ziegen als Hippie-/Satanismus-Protest-Band, was mir besonders viel Spaß gemacht hat. Für Kali’s Tongue hatten wir mit Thomas Thalhammer so einen guten Performer und kreativen Kopf im Team, der die Kali-Thematik des Songs super rübergebracht hat.

Viele Bands mögen es, Livekonzerte professionell drehen zu lassen. Für dich als Videokünstlerin: was liegt dir mehr? Livemitschnitte oder ein Video mit den Musikern/anderen Darstellern zu einem Song zu drehen? Welche Gründe gibt es für deine Vorliebe?
Livekonzerte sind ein bisschen wie Malen nach Zahlen. Es ist relativ klar, wo die Kameras stehen sollen und auch beim Schnitt sind ein paar Sachen vorgegeben. Wenn jemand singt, will ich die Person sehen, wenn jemand ein Solo spielt, will ich die Person sehen, die das Solo spielt. Alles andere verursacht bei mir ein ganz ungutes Gefühl im Magen. Dann gibt es noch Kameraeinstellungen, die man grad nicht verwenden kann, weil sie momentan unscharf sind oder ein Schwenk oder Zoom gemacht wird, der an dieser Stelle nicht passt. Also bleiben dann gar nicht mehr so viele Möglichkeiten beim Schnitt, denn ich bin kein Fan von schnellen Schnitten, bei denen man nicht mal mehr erkennt, was da gerade passiert, weil einem schon wieder das nächste Bild vor die Augen geklatscht wird. Musikvideos liegen mir mehr.

Eingangs erwähnte ich, dass du auch sehr produktiv als Autorin bist. Im Herbst 2019, pünktlich zur Buchmesse, erscheint dein neuestes Werk: „Kein Eintritt für Erleuchtete“. Vielversprechender Titel, ich vermute so einiges an Handlungen;-) Bitte erzähle etwas davon….
In „Kein Eintritt für Erleuchtete“ versucht eine Gruppe von Menschen ihre Utopie einer diskriminierungsfreien, alternativen Gesellschaft zu leben, in der die persönliche Weiterentwicklung des Menschen im Mittelpunkt steht. Jakob, der 27-jährige Hauptcharakter, manövriert sich durch Themen wie Geschlechteridentität, Feminismus, sexuelle Orientierung, Drogen und Depression, um herauszufinden, wie er -unabhängig von Erziehung und gesellschaftlichen Zwängen – eigentlich leben will. Das Ganze spielt an real existierenden Orten in Wien, denen ich eine Prise Phantastik verpasst habe und erzählt die Geschichte aus 53 verschiedenen Blickwinkeln.

Meine persönliche Leseempfehlung ist natürlich auch dein Buch
„3 a.m.“ aus dem Jahr 2013. Ein okkult – ironischer, postmoderner Roman. Ist er vergleichbar mit deinem neuesten Werk? Zu diesem Roman hätte ich sofort Ideen für ein Video…wäre das mal ein Ansatz für dich: visuelle Promotion für eines deiner Bücher? Oder nimmt man damit den Leserinnen und Lesern ihre eigene Fantasie beim Lesen?
„3 a.m.“ ist ein bunter Haufen Kleiderfetzen, die durch die Luft segeln und von denen die Leser/innen nur mit einigen Stoffteilen etwas anfangen können. „Kein Eintritt für Erleuchtete“ ist ein Netz, in das sich die Leser/innen fallen lassen können und dass sie wie ein fliegender Teppich durch die Handlung trägt. Ihnen gemeinsam ist der Humor und die unterschwellige Philosophie. Man könnte sagen „3 a.m.“ ist okkulte, chaotische Theorie und „Kein Eintritt für Erleuchtete“ die daraus resultierende Praxis, aber eigentlich ist es nur eine unterhaltsame Story mit Einhörnern, schrägen Charakteren und Todeserfahrungen. Ich sehe keinen Grund das zu verfilmen, nicht als Film und schon gar nicht für Promozwecke. Ich traue den Leser/innen zu, dass ihre Vorstellungskraft bunter, plastischer ist, alle Sinne umfasst und damit immer interessanter sein wird, als die Videobilder, die man ihnen anbietet.

Deine neues Buch “Kein Eintritt für Erleuchtete“ erscheint am 6.9. Gehst du auf Lese-Tour 2019/2020? 
Ich hoffe. Zurzeit ist noch nichts Konkretes geplant, in Wien wird es aber auf jeden Fall eine Lesung geben.

Ich danke dir für deine Zeit! Freue mich auf zukünftige Edie Calie Videos und Geschriebenes von dir. Ich wünsche dir viele geneigte Leserinnen und Leser für deine Bücher.

Danke!

www.ediecalie.at

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