Ausnahmezustand Corona – ein Bericht der Solar Lodge Bands nach 100 Tagen

Die Auswirkungen des Corona Virus hat die Musikbranche hart getroffen. Konzerte und Festivals wurden abgesagt und eine Aussicht auf Besserung ist nicht in Sicht, düstere Zeiten für Kreative. Welche Auswirkungen hat das auf unsere Bands, haben wir uns gefragt. Wie gehen sie damit um? Welche Pläne gibt es dem entgegenzuwirken? Und setzt die freigewordene Zeit vielleicht sogar Energien frei, um an neuen Songs und Alben zu arbeiten? Jawa Seth fragt nach…

Viele (Quarantäne-) Wochen liegen hinter euch, Corona hat die Welt im Griff, ob in Deutschland, Österreich oder Belgien. Einigen Posts von euch habe ich entnommen, dass ihr trotzdem kreativ wart bzw. weiterhin seid. Was war dennoch gefühlt anders für euch?

ASHLEY DAYOUR (The Devil And The Universe, Whispers In The Shadow): Ich muss gestehen, ich fand diese Wochen gar nicht so lange. Klar war das ein ordentlicher Einbruch, aber persönlich hat sich nicht so viel verändert, bis auf die abgesagten Gigs natürlich. Und im Grunde waren ja hier nur ein paar Wochen wirklich bedrohlich, bzw. war hier in Österreich relativ schnell klar, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen könnten. Mir wurde wieder bewusst in welch privilegierter Lage wir hier sind und bin dafür sehr dankbar und demütig. Es ist reines Glück, dass ich in diesem Teil der Welt lebe, das wird einem in so einem Fall wieder klar. Ich als alter Stubenhocker kam mit dem zuhause bleiben ohnehin gut zurecht. Auch habe ich dieses Runterfahren und die etwas behäbigere Stimmung wirklich genossen. Es erinnerte mich an den 1 Januar, wenn alles ganz still ist und die Welt irgendwie aufhört sich zu drehen. Ich mag das. Mir ist aber selbstverständlich klar, dass diese Situation für viele wirklich schwierig ist und war und nicht jeder in der glücklichen Lage ist so zu leben wie ich und auch mit wem. Das habe ich keine Sekunde vergessen! Was die Kreativität angeht, nun das Songwriting für das kommende WHISPERS IN THE SHADOW Album war genau in der Woche abgeschlossen als es los ging. Das bedeutete aber, dass wir erst gut einen Monat später ins Studio konnten als geplant, somit verschiebt sich der ganze Release jetzt etwas, und zwar auf Anfang November. Aber das ist nicht weiter schlimm. Zu Beginn dachte ich noch, man muss diese Zeit jetzt auf jeden Fall mit ganz viel Kreativität und Produktivität nützen, aber ich habe schnell erkannt, dass das für mich der falsche Weg ist, und ich diese Pause genau dafür nützen sollte, eben eine Pause zu machen. Ich habe dann einige Zeit einfach gar nichts gemacht außer viel gelesen, Werner Herzog Dokumentationen geschaut, Musik gehört.

DIN TAH AEON & NINO SABLE (Aeon Sable): Es war etwas entspannter, weil weniger Leute draußen waren und wir damit einen größeren Freiraum hatten. Kreativ sind wir sowieso immer, ob aktiv im Studio oder passiv in der eigenen Hölle. Da wir nebenher durchgehend gearbeitet haben, hat sich unser Alltag kaum geändert. Auffallend war lediglich, dass es weniger Staus gab und man sich mit einer Menge Vorschriften konfrontiert sah. Die Welt geht allerdings bereits seitdem wir hier sind zugrunde und wir schauen seitdem zu und machen uns Notizen. Ob es nun mal ein Regenwald ist, der abgeholzt wird, ein Ozean oder Kontinent der atomar verseucht wird oder eine kleine Krankheitswelle, die sich über uns ergießt. Wie hieß es nochmal in dem Film Matrix? „Der Mensch ist ein Virus“. Beweislage abgeschlossen. Alles was hier passiert, können wir uns selbst auf die Fahne schreiben, denn wir können alles beeinflussen. Durch unsere Stimme, durch die Menschen denen wir Macht verleihen, durch unseren Konsum.

AELETH KAVEN (La Scaltra): Da ich die Songs daheim schreibe und einspiele, hat sich nicht viel für uns geändert, außer dass man sich nicht so einfach treffen konnte.

JAN DEWULF (Your Life On Hold): Tief im Inneren lebt ein Einsiedler in mir. Also mag ich es, eingesperrt zu sein. Und wie viele Künstler bestätigen werden, ist es sowieso eher eine einsame Aktivität, kreativ zu sein. Dies erklärt, warum der Lockdown hier in Belgien für mich persönlich kein dramatischer Szenenwechsel war. Letztes Jahr, als ich vierzig wurde, entschied ich mich für ein Sabbatical und verbrachte einen Großteil dieser Zeit im Studio, um an Musik zu arbeiten. Auf seltsame Weise fühlt sich die Quarantäne manchmal wie eine Erweiterung meines Sabbaticals an. Ich war sehr damit beschäftigt, an Musik, Kunstwerken und vielen anderen Dingen zu arbeiten. Aber natürlich hat dieser Lockdown einen dunklen und bitteren Aspekt: ein Virus hat die Welt in seinen Bann gezogen und Menschen sterben. Während mein persönliches Leben nicht zu sehr von dem, was passiert, überwältigt wurde, ist es die Welt als Ganzes definitiv.

ARTAUD SETH (Near Earth Orbit, Merciful Nuns, Solar Lodge): Da ich von Natur aus eher ein Mensch bin, der wenig Kontakte braucht, hat sich für mich während der Kontaktsperre nicht viel verändert. Am Anfang, als Corona noch in fernen Ländern stattfand, hatte ich die Tragweite gar nicht richtig abschätzen können. Wer hätte zu der Zeit auch ahnen können, dass die ganze Welt in Kürze komplett zum Stillstand kommen würde? Richtig bewusst wurde mir das persönliche Ausmaß, als plötzlich die Absatzzahlen des Labels einbrachen, unser Auslandsvertrieb in Italien monatelang unter Quarantäne gestellt wurde und viele der Plattenläden weltweit auf unbestimmte Zeit schließen mussten. Alles stand still. Plötzlich hatte ich unerwartet viel Zeit und mich gefragt, was ich damit mache. Also habe ich ein paar Tage mit der Situation gehadert, anschließend meine Geräte angeschlossen, um an neuen, düsteren N.E.O.sphärischen Songs zu arbeiten. Das füllt gerade meinen Tag aus. Außerdem hilft mir die Düsternis der N.E.O. Songs, den Wahnsinn da draußen zu kompensieren.

Musik zu erschaffen ist in vielen Phasen, je nach Herangehensweise, per se oft ein „einsamer“ Prozess. Gab es Dinge, die ihr dennoch auf Grund von Corona anders angehen musstet oder hat die Situation euer Songwriting in keinerlei Hinsicht beeinträchtigt?

ASHLEY DAYOUR: Find ich ja gar nicht. Auch wenn man, wie ich, vieles allein macht, bedeutet das nicht, dass man dabei einsam ist. Im Gegenteil, Musik ist in erster Linie eine Art der Kommunikation. Selbst wenn man allein vor sich hin komponiert, kommuniziert man in einer Form, und zwar mit sich selbst. Daher empfinde ich keinen einzigen Schaffensprozess als einsam, weder während Corona noch davor oder danach.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: Es ist in der Tat ein einsamer Prozess, da jeder seine eigenen Erfahrungen kanalisiert und in Kreativität umwandelt. Spannend wird es allerdings erst dann, wenn mehrere Personen aufeinandertreffen und deren Welten zu einer zusammenfließen. Außer dass wir aufgrund der Quarantäne die Arbeit zeitlich aussetzen mussten, hat sich grundlegend nichts geändert. Wir haben über die Jahre einen funktionierenden Weg fürs Songwriting & Produktion gefunden und daran halten wir fest.

AELETH KAVEN: Bei uns hat sich dahingehend nichts verändert. Die Musik wird zuhause kreiert und insofern ist ein einsamer Prozess für mich auch immer der produktivste.

JAN DEWULF: Ein Künstler ist in der Tat ein Einzelgänger. Corona hat daran nichts geändert. Leider hatte ich ein paar persönliche Probleme. Und als die Sperre begann, war ich plötzlich mit meinen persönlichen Schmerzen, dunklen Gedanken und eindringlichen Erinnerungen allein. Glücklicherweise ist das Schreiben von Musik der ideale Weg, um meine inneren Dämonen auszutreiben. Vielleicht hat mich das Ganze sogar beeinflusst, als ich das Album fertiggestellt habe.

ARTAUD SETH: Ich sehe das ähnlich wie Ashley. Man komponiert in seinem eigenen Universum, meist allein, umgeben von sehr viel kalter Technik. Diese dann mit Leben zu erfüllen, es organisch werden zu lassen, ist die wahre Herausforderung. Ob das Songwriting von der aktuellen Situation der Außenwelt beeinflusst wurde, lässt sich vielleicht mit dem Arbeitstitel des Albums, an dem ich gerade schreibe, ablesen: OUTERWORLD. Obwohl es eigentlich mehr die innere Welt thematisiert, zugleich aber auch eine neue, noch nicht entdeckte und ferne Welt, auf dem der Mensch nicht mehr als eine Randnotiz sein wird.

Als Musiker und Künstler nimmt man Dinge oft intensiver, mit anderen Blickwickeln wahr. Hattet ihr spezielle Momente in den letzten Wochen, wo es augenscheinlich für euch war, dass diese Pandemie quasi immer präsent ist? Sei es beim Texten, Sounds auswählen, musikalische Parts einspielen, Themenfindung allgemein etc.

ASHLEY DAYOUR: Es gab ganz am Anfang einen Punkt, wo ich merkte, dass ich Mühe hatte, mich zu konzentrieren. Das waren so die ersten 10 Tage nachdem es los ging mit Covid19. In denen man nicht wusste, wie schlimm das alles werden wird. Ich möchte hier auch hinzufügen, dass dieses Klischee des leidenden Künstlers das man hier durchaus anwenden könnte, eines der dümmsten und unwahrsten ist, die es gibt. Klar, als ganz junger Musiker mag das noch seinen Reiz haben, aber man erkennt sehr schnell, dass es eigentlich Unsinn ist. Auch wenn viele das so nach außen tragen.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: Es ist schon erschreckend, wie sich die Welt in solch einer Geschwindigkeit von einer gefühlten Sicherheit abwandeln kann. So etwas könnte hier doch niemals passieren, denkt man. Im zweiten Gedanken verwundert dann auch, wie schnell man sich an Maskenpflicht und Kontaktverbot gewöhnt. Inwieweit das in unsere Musik einfließen wird, wird sich erst noch zeigen. Dafür passiert viel zu viel unterbewusst. Wäre es denn zu früh für Optimismus oder ist es bereits zu spät für Pessimismus?

AELETH KAVEN: Da wir uns strikt an alle Vorgaben gehalten haben und uns der Pandemie bewusst waren, es jedoch kein bedrohliches Monster war, das irgendwo in der Ecke lauert, ist es ins Songwriting auch nicht eingeflossen. Die Corona-Krise begann direkt im Anschluss als meine Mutter starb, insofern war das eher mein Katalysator.

JAN DEWULF: Es gibt tatsächlich eine seltsame Parallele zwischen der Pandemie und den Themen, die ich mit YOUR LIFE ON HOLD und insbesondere mit dem bevorstehenden Album anspreche. Dieses Album heißt „Echoes from the Bardo“ und basiert auf dem Hauptkonzept des „Bardo“. Ich muss gestehen, dass ich das Konzept erst kennengelernt habe, nachdem ich George Saunders Roman „Lincoln in the Bardo“ gelesen hatte. Ich mochte definitiv die Idee des Bardo, der tibetischen Bezeichnung für den buddhistischen „Zustand“ zwischen Tod und Reinkarnation. Das Bardo scheint für mich die perfekte Metapher für die gesamte Idee hinter YOUR LIFE ON HOLD zu sein. Es ist eine Zwischenwelt, ein Niemandsland zwischen den verschiedenen Phasen des Lebens. Es bestimmt den Kern dessen, worum es in YOUR LIFE ON HOLD geht. Heute bringt die Pandemie das Leben aller Menschen auf der ganzen Welt weitestgehend zum Stillstand. Unser Bandname könnte wohl kaum passender sein.

ARTAUD SETH: Ich habe versucht die Pandemie weitestgehend auszublenden. Am Anfang wollte ich natürlich so viel wie möglich wissen. Wie überträgt sich das Virus? Wie schnell breitet es sich aus? Wie gefährlich ist es? Wie ist die persönliche Gefahrenlage für mich und Jawa. Und natürlich… wie verhalte ich mich. Wir hier in Deutschland sind, so glaube ich, sehr gut informiert worden. Selbst hinter den drastischen Lockdown Maßnahmen stehe ich. Es mag sein, das im Nachhinein das ein oder andere zu viel oder zu weit ging, aber wer wusste das schon. Das schnelle Handeln hier hat faktisch Leben gerettet. Und zwar sehr viel Leben! Schaut doch einfach mal in Länder, die entweder nicht, zu spät oder unwissend gehandelt haben. Ist es ein Zufall, das gerade in hart betroffenen Ländern wie den USA, Brasilien, China oder auch Großbritannien selbstverliebte Despoten an der Macht sind, die aus machttaktischen Gründen handeln? Sicher nicht.

Maskenpflicht, social distancing, Corona news auf allen Kanälen. Das hat mit Jedem von uns doch etwas gemacht. Gab es einen speziellen Punkt/Erlebnis an dem euch bewusstwurde, dass dieser Zustand nicht in ein paar Wochen endgültig vorbei sind wird?

ASHLEY DAYOUR: Ja, und zwar im Gegenteil zu einigen Menschen in meinem Umfeld sehr, sehr früh. An dem Tag als Italien die Grenzen dichtgemacht hat, dachte ich mir, das könnte schlimmer werden als wir gedacht haben. Da war die „es ist nur eine Grippe“-Fraktion noch weit in der Überzahl. Keine 3 Tage später war dann die Reisewarnung für die ganze Welt draußen und alle Flüge eingestellt. Aber klar unterschätzt haben das ohnehin alle, bzw. ich habe 2 Wochen vorher auch gar nicht drüber nachgedacht was das heißen könnte, wenn das Virus zu uns kommt. Ich finde das aber eine der wichtigen Lehren aus dem Ganzen, die westliche Überheblichkeit hat einen ordentlichen Knacks bekommen und das ist gut so.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: Bei uns sicherlich die Todeszahlen in Italien die uns zuerst erreichten. Das sind Dimensionen, die man nicht hätte erahnen können. Danach die Erkenntnis, dass der Virus nicht einfach verschwinden wird, sondern uns von jetzt an stets begleiten wird.

AELETH KAVEN: Als das Klopapier vergriffen war…. nein, aber mal im Ernst: Jeden Tag die News, neue Zahlen, neue Tote, das war wirklich Horror. Das lässt einen mit Besorgnis darauf blicken und das haben wir natürlich auch getan. Aber am Ende liegt es an jedem selbst, damit ordnungsgemäß umzugehen.

JAN DEWULF: Es fühlt sich definitiv befremdlich an. Ich vermisse die normalen Dinge, wie einkaufen. Überall lauert die Gefahr, jeder scheint misstrauisch. Sehr dystopisch. In den Nachrichten sind es nur Zahlen, tatsächlich ist es der Verlust von Mutter oder Vater, Großeltern oder Freunden, die verkraftet werden müssen. Der gruseligste Teil, der mich am meisten beunruhigt, ist, dass die nähere Zukunft überhaupt nicht gut aussieht. Wann werden wir ein nächstes Konzert besuchen oder spielen? Wann werden wir einen Drink mit Freunden teilen? Ich lebe an der belgischen Küste, und in diesem Sommer müssen die Leute vorher einen Platz am Strand in digitaler Form reservieren. Wie dystopisch und entfremdend können die Dinge werden?

ARTAUD SETH: Bei mir waren das zwei Ereignisse. Zum einen die Bilder aus Wuhan, die einem bewusst machten, dass das Virus sehr gefährlich ist. Und zum anderen die Berichte aus Bergamo. Da war mir sofort klar, dass wird eine weltweite Pandemie ungeahnten Ausmaßes, welches jetzt auch zu uns kommen wird.

Bitte gebt ein kurzes Statement zu folgenden Schlagworten ab:

  • Wohnzimmerkonzerte

ASHLEY DAYOUR: …nichts für mich, man muss der Musik nicht den letzten Zauber nehmen.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: …eine charmante Idee, für uns aber ohne Clubatmosphäre & ohne Feedback der Crowd ein „Hai ohne Zähne“

AELETH KAVEN: …schön, wenn man den Platz hat und die Zeit, so etwas zu machen.

JAN DEWULF: …nicht wirklich meine Ding. Ich habe einige gesehen, aber sehr schnell das Interesse verloren. Ich bin mir nicht sicher, ob es für mich funktioniert.

ARTAUD SETH: …braucht kein Mensch.

  • „United we stream“

ASHLEY DAYOUR: …habe ich bisher nicht gesehen

DIN TAH AEON & NINO SABLE: …mussten wir ehrlich gesagt erst einmal googlen. Schöne Sache, hat unsere Unterstützung.

AELETH KAVEN: …um Kultur weiterhin eine Plattform zu geben, eine großartige Sache.

JAN DEWULF: … auch nicht mein Ding.

ARTAUD SETH: …kenne ich nicht.

  • Clubrettung mit Spenden und „ghost parties“

ASHLEY DAYOUR: …Clubrettung ist natürlich wichtig und richtig, es werden viele zusperren müssen.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: …Clubs sind Kultur und…

AELETH KAVEN: …generell eine gute Sache, support „your local scene“, wie es heißt. Das mit den Spenden sollte aber vielleicht nicht nur zur Corona-Zeit sein. Und ob es reicht… ich hoffe es.

JAN DEWULF: …ich bin mir nicht sicher, wie das funktionieren soll.

ARTAUD SETH: …Jan hat recht, das funktioniert nicht.

  • Rettungsfonds für Kunst & Kultur

ASHLEY DAYOUR: …kam zu spät, war anfangs zu wenig wird hier aber gerade aufgestockt. Reichen wird es sowieso nicht. Es wird hart werden. Aber die, die was zu sagen haben, werden Wege finden, davon bin ich überzeugt.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: … Kultur ist menschlich-systemrelevanter als viele Unternehmen. Zeig wer du bist, nicht was du kaufst!

AELETH KAVEN: …super, dass sich Kommunen und Länder nun auch dafür einsetzen. Leider nicht alle.

JAN DEWULF: … zu schön um wahr zu sein, fürchte ich.

ARTAUD SETH: …auch hier, es wird nicht reichen. Ich kenne es auch nicht anders. Kultur hat kaum eine Lobby. Kultur kommt meist aus der Subkultur und die ist geprägt von einem anarchischen Ethos, welches Geld gerne als Übel deklariert. Dies haben sich die Politiker gemerkt und agieren jetzt erwartbar defensiv.

Viele Kulturminister in Deutschland haben die nachhaltige Gefährdung von Kunst- und Kulturschaffenden erkannt, dennoch fehlt es an unkomplizierten und langfristigen Maßnahmen, diese Gefährdung aufzuhalten. Wie habt ihr persönlich diese Debatte in euren Ländern bisher erlebt?

ASHLEY DAYOUR: Genau gleich war es in Österreich. Zuerst wurde viel geredet und beschwichtigt, dann ist nicht viel passiert, dann wurde protestiert, die Kulturverantwortliche räumte ihren Stuhl. Jetzt gibt es eine neue Chefin, die auch Erfahrung in dem Bereich hat, seitdem tut sich mehr. Ob es genug ist? Keine Ahnung.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: Wir haben keine Berührungspunkte mit diesen Maßnahmen, von daher können wir kein Urteil abgeben.

AELETH KAVEN: Wir haben es eigentlich nur am Rande immer mal wieder mitbekommen. Wenn man als Künstler von seiner Kunst lebt, dann ist das natürlich ein hartes Brot derzeit.

JAN DEWULF: Auch hier in Belgien wird viel geredet. Kulturmagazine und -Organisationen sowie einige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und bekannte Künstler läuten die Alarmglocke. Darstellende Künstler sind Opfer dieser Krise, ebenso wie alle Organisatoren von Festivals, kulturellen Veranstaltungen usw. Ich fürchte, es ist wirklich ein Blutbad. Bereits vor der Krise hat die Regierung die kulturellen Subventionen drastisch gekürzt. Diese politische Haltung ist kein gutes Zeichen für eine mögliche angemessene Reaktion auf diese Kulturkrise.

ARTAUD SETH: Wir werden sehen, was am Ende noch an Kulturstätten vorhanden sein wird. Ich ahne da ebenfalls nichts Gutes. Aber eines ist klar. Wenn wir das hier in Deutschland nicht hinbekommen, dann schafft das Keiner.

„Kultur ist die ganze Lebensweise eines Volkes, alles, was das Leben lebenswert macht“, hat der Autor T.S. Eliot einmal gesagt. Bitte nehmt hierzu ein paar eurer ersten Gedanken auf und schildert sie hier.

ASHLEY DAYOUR: Das stimmt schon, aber Kultur wird halt leider auch als Luxusgut gesehen, und genau da wird als erstes gespart. Das betrifft beide, den Staat und die Kulturkonsumenten. Trotzdem, und ich wiederhole mich, jene Leute, denen es eine Lebensnotwendigkeit ist, sich künstlerisch auszudrücken, weil sie gar nicht anders können und im besten Fall auch noch was zu sagen haben, werden Mittel und Wege finden. Es wird hart. Aber, und das ist die traurige Wahrheit, das war es doch eh schon immer. Vielleicht wird man z.B. Konzerte wieder mehr schätzen als davor. Aber ich denke, wenn überhaupt, wird das nicht lange andauern.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: Wir empfinden es oft so, als würde die „Kultur“ immer mehr vom Konsum ummantelt – wenn nicht verdrängt. Trügerisch, denn der Konsum gaukelt dem Menschen kurzfristige Glücksgefühle vor, es kann aber nichts daraus erwachsen oder weitergegeben werden als weiterer Konsum um die zuvor entstandene Leere zu füllen. Die Weitergabe oder einfache Zelebration von Wissen, Können oder auch einfach nur Gedanken bleibt und bietet Boden, um darauf erwachsen zu können. Wissen, dass verloren geht, kommt leider nicht wieder. Modetrends dagegen schon. Deswegen Ehrerbietung jedem Kulturschaffenden diesem Trend sich entgegenzustellen.

AELETH KAVEN: Und so können wir verschiedene Kulturen einfließen lassen und uns im Reichtum derer schwelgen. Voll dafür. Als passionierte Hobbyköchin ergänze ich da mal: Zwei essenzielle Dinge bringen die Menschen zusammen: Essen und Musik. Und in beidem vereinen sich die Kulturen der Völker und machen das Leben in meinen Augen lebenswert, weil immer was Neues passiert, was Frisches dazukommt und die Farben sich ändern.

JAN DEWULF: Ich denke, das ist ein sehr weiser und schöner Gedanke. Kultur in ihrer allgemeinen und engeren Bedeutung bringt Farbe in unser Leben. In gewisser Weise ist es eine transzendentale Ebene, ein Überschuss an unserem menschlichen Zustand, der in Wirklichkeit nur ein physisches Spiel von Atomen und Zufällen ist. Die menschliche Fähigkeit zu reflektieren und zu argumentieren überschreitet diesen Zustand. Mit der Kultur kommt die Farbe ins Spiel.

ARTAUD SETH: Eliot sagt aber auch „Die einzige wichtige Aufgabe des Dichters ist, so wenig zu schreiben wie möglich.“ Das steht für mich im Widerspruch zur Aussage der Wichtigkeit von Kultur und lässt mich eher vermuten, dass Eliot mehr auf in sich geschlossene Wirkungssätze aus ist, die mehr ihm selbst und seiner Reputation dienen als der Gesellschaft. Ist Kunst und Kultur wichtig für eine Gesellschaft? Natürlich. Aber nur, wenn die Rahmenbedingungen eines individuellen Lebens das auch möglich machen. Kultur ist ein Luxusgut. Der Nährboden ist eine gesicherte Existenz. Subkulturen hingegen funktionieren auch auf einem niederschwelligen Niveau, gerne auch aus einer rebellierenden Grundhaltung heraus. Alle interessanten Subkulturen der letzten Jahrzehnte entwickelten sich in der Grauzone aus Mangel und Improvisation und wurden häufig auch von politischen Umbrüchen oder Bedrohungslagen begleitet.

Bei vielen von euch wurden geplante Konzerte abgesagt, verschoben. Düstere Prognosen sagen, dass es erst 2021 wieder Livekonzerte geben wird. Diese „Zwangspause“ ist sehr schmerzlich für die Bands und zugleich auch für eure Fans. Wie denkt ihr darüber? Wird es irgendwann eine gewohnte Normalität im Livesektor geben? Wie können diese Lücken aus eurer Sicht kompensiert werden?

ASHLEY DAYOUR: Eine Normalität kann es nur geben, wenn es einen Impfstoff gibt oder der Virus sich wirklich fast verflüchtigt. Vor einem Monat habe ich nicht mehr mit Gigs 2020 gerechnet. Aber im Moment geht es zumindest hier in Österreich Schlag auf Schlag mit den Lockerungen, so dass ich das nicht mehr ganz ausschließen möchte, und klar wäre das wunderbar. Ich werde die Live-Pause dazu nutzen, um an neuer Musik zu arbeiten. Es wird ja auch ein neues THE DEVIL AND THE UNIVERSE Album geben. Mir wird nicht langweilig. Natürlich spiele ich sehr gern live und das fehlt mir, aber ich übe mich in Geduld. Der erste Gig nach diesem Desaster wird ein ganz Spezieller werden, das steht fest. Diese Ungewissheit macht viele fast wahnsinnig, mich aber irgendwie so gar nicht. Ich weiß nicht, warum, irgendwas stimmt mit mir wohl nicht. Irgendwann wird es wieder Gigs geben, ob noch dieses Jahr oder dann eben nächstes. Eigentlich macht das nicht wirklich einen Unterschied für mich.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: Bis auf wenige Ausnahmen wurden unsere geplanten Konzerte verschoben anstatt abgesagt. Das ist zumindest ein Trost.

AELETH KAVEN: Natürlich ist diese Zwangspause doof. Und natürlich würde auch ich gerne mal wieder ein Konzert besuchen. Ich bin ja auch Musiklover, nicht nur Musizierende. Aber alles hat seine Zeit und seinen Grund, und wir freuen uns alle schon auf die Zeit danach. Bestimmt gibt es irgendwann auch wieder sowas wie Normalität. Aber auch da sehen wir dem Ganzen gelassen entgegen. Man kann nichts erzwingen, das ist größer als wir alle und der Mensch muss sehen, dass er bei gewissen Dingen einfach nicht an der Spitze steht.

JAN DEWULF: Mitte März mussten wir unsere Mini-UK-Tour absagen, weil Belgien gerade mit seinen Beschränkungen begann und die Dinge sehr ungewiss waren. Es war eine sehr schwere und herzzerreißende Entscheidung, die Tour abzusagen. Es wäre unser erstes Abenteuer auf der Straße gewesen. Ein weiterer Auftritt wurde ebenfalls abgesagt. Und dann gab es das W-Festival, das zuerst verschoben, dann aber doch abgesagt wurde, um später in diesem Jahr durch den Sinner’s Day ersetzt zu werden. Man kann nur hoffen, dass Festivals bis Ende Oktober erlaubt sind. Nichts ist wirklich sicher. Ich hoffe einfach auf einen schnellen Impfstoff gegen Covid-19.

ARTAUD SETH: Ich sehe das auch so. Erst ein Impfstoff oder zumindest ein heilendes Medikament kann Konzerte und Festivals wieder möglich machen. Zudem wird das nicht nur Auswirkungen auf 2020 haben, sondern auch auf 2021, selbst wenn ein Impfstoff dann schon längst da wäre. Fast alle Festivals und Touren, die dieses Jahr hätten stattfinden sollen, wurden einfach ins nächste Jahr verschoben. Diese Slots sind somit alle zu gebucht und die Kapazitäten der Klubs ebenfalls. Und welcher Veranstalter, welcher Klub überlebt einen so langen Lockdown? Wo kann man dann eigentlich noch auftreten? Das wird eine richtige Katharsis werden.

Verschwörungstheorien wohin man blickt, Anfeindungen gegen staatliche Maßnahmen, Einschränkungen der Grundrechte…seid ihr davon genervt/amüsiert/nachdenklich oder keines davon?

ASHLEY DAYOUR: Es war klar, dass dies ein guter Nährboden für Verschwörungstheorien werden wird. Es geht dabei um Sicherheit. Das ist es, was einem Verschwörungstheorien am Ende des Tages bieten. Eine Erklärung in all dem Chaos: Ordnung. Der Mensch sehnt sich nach Ordnung und Sicherheit. Wenn ich jetzt alles z.B. einem Bill Gates in die Schuhe schieben kann, macht es das viel erträglicher. Ich habe einen Sündenbock, kann meine Verantwortung abgeben und habe diesen Wahnsinn in eine geordnete Bahn gebracht. Wenn aber plötzlich Leute, von denen man dachte, die sind eigentlich schon halbwegs klar im Kopf anfangen Ken Jebsen zu verehren, fragt man sich schon, was zur Hölle ist eigentlich schiefgelaufen bei dir? Nichts gelernt, gar nichts! Aber in der Krise offenbart sich halt schon auch der wahre Charakter. Aber ich muss gestehen es amüsiert schon auch ein wenig. Xavier Naidoo z.B. tut mir auch ein wenig leid, denn der ist wirklich krank und braucht im Grunde professionelle Hilfe. Aber natürlich ist das, was der gerade aufführt, auch unterhaltsam.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: Verschwörungstheorien kennt man ja seit der Mondlandung. Solange die Argumente faktisch belegt sind und nicht aus Phantasieanalogien bestehen, lohnt es sich auch gegenteilige Meinungen anzuhören, um seinen eigenen Standpunkt gegen zu checken.

AELETH KAVEN: Ganz ehrlich? Wir haben uns ein paar dieser Themen gegeben und mittlerweile ignorieren wir gekonnt dieses ganze Geschiebe da draußen. Wir haben täglich Menschen erlebt, die mit der Situation scheinbar nicht so gut umgehen konnten und entweder ausgerastet sind oder sogar handgreiflich wurden. Man könnte sich aufregen oder man lässt es einfach. Wir sparen uns einfach das Ganze und lassen unseren Blutdruck schön im Normalbereich.

JAN DEWULF: Ich bin wirklich genervt. Etwas, das sich noch schneller verbreitet als das Corona-Virus selbst, ist definitiv der Tsunami von Verschwörungstheorien: 5G, Bill Gates, biochemische Waffen, ein fehlgeschlagenes Laborexperiment, Mikrochips, böse Regierung usw. Aufgrund von Aberglauben und einer ungesunden Portion Paranoia hat die Corona Krise viele Menschen dazu inspiriert, Verschwörungstheorien aufzustellen, die manchmal amüsant, aber meist falsch und ziemlich alarmierend sein können. Irgendwie entscheiden sich viele Menschen dafür, ihre eigenen Antworten auf Dinge zu erstellen, die von dunklen Ideen gespeist werden. Aus irgendeinem Grund sind ihnen Fakten zu langweilig, also suchen sie im Internet nach Alternativen.

ARTAUD SETH: Das beängstigende an alternativen Fakten ist, dass es auch noch Leute gibt, die daran glauben. Oder das ganze Regierungen mit derartigen Fake News ihre Bevölkerung in Schach halten. Klar, der Mensch braucht von Natur aus einen Schuldigen. Da ist ein unsichtbarer Feind, ein undankbares Ziel. Da stellt man doch lieber Bill Gates an den Pranger, hängt sich eine Alu Bommel an seinen G5 Aluschutzhut und wettert gegen den Staat. Es ist ja bekannt, dass der Mensch nur 70% seiner Hirnleistung nutzt, aber manche schaffen es wohl nicht mal auf eine kognitive Hirnleistung eines 2-Jährigen. Und ich befürchte, ich tue dem 2-Jährigen gerade auch noch Unrecht.

Ich bin sehr gespannt auf eure nächsten Songs und Alben, vieles dazu wurde von eurer Seite ja bereits angekündigt. Zu den Releases gehören Videos. Wie kann das in diesen Zeiten umgesetzt werden?

ASHLEY DAYOUR: Für das zweite Gothic Cat Charity Online Festival haben wir für THE DEVIL AND THE UNIVERSE ein spezielles Video zu „Altamont Apocalypse“ gedreht. Die Resonanz war bei der Premiere auch enorm und hat uns sehr gefreut. Es war uns wichtig, gerade in dieser Situation auch ein wenig Sinn für Humor zu beweisen. Das hat mir bei den meisten bierernsten Beiträgen etwas gefehlt. Manche taten ja so, als wären wir mitten im Krieg. Das fand ich bei allem Verständnis für diese schwierige Situation teilweise nur schwer erträglich. Ich war erstaunt, wie schnell und oft das ins Weinerliche und in Selbstmitleid abgeglitten ist. Mittlerweile ist das etwas weniger geworden. Aber hey, jeder geht halt anders mit so einer Situation um, da gibt es kein richtig oder falsch.

DIN TAH AEON & NINO SABLE: In diesem Stadium sind wir noch nicht und hoffen das sich bis dahin die Situation entspannt hat.

JAN DEWULF: Wir planen tatsächlich ein Video für eine erste Singleauskopplung des kommenden Albums. Ein alter Freund ist ein professioneller Fotograf und hat auch ein Videoproduktionsfirma gegründet. Es wird Spaß machen, mit ihm an unserem allerersten „echten“ Videoclip zu arbeiten. Jetzt warten wir auf eine Lockerung der Sperrbeschränkungen, damit wir mit dem Filmen beginnen können.

ARTAUD SETH: Mal schauen, ob uns eine zweite Welle kalt erwischt und wir wieder kollektiv in den Lockdown müssen. Der nächste Videodrehtermin dürfte wohl im September liegen. So der Plan. Aber wer kann in diesen Zeiten noch wirklich planen.

#stayhealty…was möchtet ihr den Solar Lodge Lesern noch auf den Weg geben?

ASHLEY DAYOUR:
even this will pass!
see you sooner or later,
be patient (with others and with yourself),
be kind, stay sane
stay healthy and take care

DIN TAH AEON & NINO SABLE: Stay healthy & stay tuned. Mehr braucht`s momentan nicht.

AELETH KAVEN: Bleibt gesund, seid tapfer, bleibt humorvoll und denkt dran: Bald ist wieder Halloween und Masken sind eigentlich richtig cool 😉

JAN DEWULF: Bleib in der Tat gesund. Und der beste Weg, dies zu tun, besteht darin, klug zu sein. Glaube den Verschwörungstheorien nicht. Handle verantwortungsbewusst, um dich und andere zu schützen. Und bleib natürlich Goth. Hören Sie sich zum Beispiel ein altes GARDEN OF DELIGHT Album an, wie ich es heute selbst getan habe.

ARTAUD SETH: Wer ist das? Ist das gut? Muss ich das hören?

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